„Für die Energiewende brauchen wir die ‚grünen Moleküle‘ “

Experteninterviews – Donnerstag, 18. Februar 2021

Jeanette Uhlig, Teamleiterin Klimaneutrale Energieträger bei der Deutschen Energie-Agentur dena

Wasserstoff ist der Hoffnungsträger für die Dekarbonisierung unseres Energiesystems. Die Bundesregierung hat mit der Nationalen Wasserstoffstrategie den Startschuss für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft gegeben. Doch wie weit sind wir bei der Nutzung von grünem Wasserstoff? Kann Deutschland sich damit überhaupt selbst versorgen? Und wo können wir ihn heute schon einsetzen? Jeanette Uhlig, Teamleiterin Klimaneutrale Energieträger bei der Deutschen Energie-Agentur dena, beantwortet diese drängenden Fragen.

Frau Uhlig, Wasserstoff-Technologie wird als Schlüssel zur vollständigen Umstellung von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien angesehen. Stimmt das aus Ihrer Sicht?

Ja, das kann man auf jeden Fall sagen. Wasserstoff ist der Schlüssel zur Klimaneutralität unseres Energiesystems, denn er stellt uns eine neue Handlungsoption im Kampf gegen den Klimawandel zur Verfügung. Während wir in den letzten 20 Jahren im Stromsektor durch die Nutzung von Wind- und Solarenergie schon weit auf dem den Weg zu Klimaneutralität vorangekommen sind, haben wir das unglaublich hohe Potential, das uns flüssige und gasförmige Energieträger bieten, weitestgehend ausgeblendet. Diese Energieträger benötigen wir aber, denn auch in Zukunft werden wir Anwendungen und Sektoren haben, die wir nicht oder nur sehr schwer elektrifizieren können. Auch wird eine Durchdringung unserer Energieversorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien nach den Szenarien unserer dena-Leitstudie nur bis zu 60 Prozent erreichbar sein – trotz weiterer Elektrifizierung der Energie-Endanwendungen. Die Energiewende braucht nicht nur das grüne Elektron, sondern genauso das grüne Molekül, den grünen Wasserstoff.

Wie viel grüner Wasserstoff steht uns denn heute schon zur Verfügung?

Aktuell haben wir in Deutschland Elektrolyseure mit einer installierte Gesamtleistung von etwa 25 Megawatt. Wenn wir uns die Nationale Wasserstoffstrategie anschauen, die eine Perspektive von zehn Gigawatt in 2040 hat, dann müssen wir die Elektrolyseur-Leistung um das 400-Fache ausbauen. Wenn man das mit dem Ausbau der Photovoltaik vergleicht, dann sind wir im Jahr 2000 mit etwa 110 Megawatt gestartet und hatten nach 20 Jahren erst das 40-Fache erreicht.
Die Erzeugung von grünem Wasserstoff ist in Deutschland durch den verfügbaren grünen Strom limitiert. Deshalb ist das Thema Wasserstoff kein nationales Thema, sondern ein europäisches. Es muss allen klar sein: Wir werden künftig auch Wasserstoff importieren müssen. Wir setzen uns als dena für den Aufbau eines internationalen Wasserstoff- und Power Fuels Market ein, damit auch aus Nordafrika oder dem Mittleren Osten grüner Wasserstoff und Folgeprodukte wie Methanol oder Ammoniak, die sich besser transportieren lassen, nach Deutschland geliefert werden können.

Das Ganze dient ja einer umweltfreundlichen Energieversorgung einschließlich einer umweltfreundlichen Mobilität und einer nachhaltigen Industrie. Was kann grüner Wasserstoff dazu beitragen?

Grüner Wasserstoff kann vor allem dort einen sehr großen Beitrag leisten, wo wir heute schon Wasserstoff einsetzen, also in der chemischen Industrie, aber auch in Raffinerien, wo er zur Veredelung von Kraftstoffen eingesetzt wird. Wenn wir dort grauen Wasserstoff durch grünen ersetzen, dann können wir heute schon kurzfristig Treibhausgas-Emissionen mindern.
Wenn wir auf die Mobilität schauen, dann können wir dort mit Wasserstoff solche Anwendungen dekarbonisieren, die wir nur sehr schwer direkt elektrisch versorgen können. Das betrifft den Schwerlastverkehr, den Flugverkehr und auch in Teilen den Zugverkehr auf Strecken, die nicht elektrifiziert sind und wo sich eine Elektrifizierung nicht lohnt.

Wenn wir uns diese weit weitgespannten Möglichkeiten anschauen, dann ist es verwunderlich, dass die Bundesregierung erst im Frühjahr 2020 eine Nationale Wasserstoffstrategie ins Leben gerufen hat. Wie sieht es mit den politischen Rahmenbedingungen aus? Wie ist der Status Quo?
Die Nationale Wasserstoffstrategie zeigt deutlich, wo der Weg hingehen soll, wie wir mit Wasserstoff unsere Klimaziele erreichen können. Wir haben damit einen echten Wechsel von der reinen Energiepolitik hin zu einer Energie- und Klimapolitik. Dahinter steht eine enorme Dynamik, wenn wir an die Umsetzung denken, die uns ja erst noch bevor steht. Die Strategie ist ja nur die Basis. Nun müssen all die Pläne und Maßnahmen umgesetzt werden. Es muss entschieden werden, was mit den Milliarden passiert, die dort für die Förderung von Wasserstofftechnologie vorgesehen sind. Wo werden die eingesetzt? Wer erhält Förderung? Mit welchen Instrumenten erreicht man den Markthochlauf?
Die Bundesregierung hat sich dafür den Nationalen Wasserstoffrat an die Seite gestellt. Das war ein cleverer Schachzug. Hier wird nämlich noch einmal diskutiert, wie der Hochlauf umgesetzt werden kann. Der Wasserstoffrat hat bis heute vier Positionspapiere veröffentlicht, in denen er seine Empfehlungen an die Bundesregierung darstellt.

Für den Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur wird ja von verschiedenen Seiten gefordert, auch nicht regenerativ erzeugten Wasserstoff einzusetzen. Was halten Sie davon?

Das ist eine sehr spannende Frage. Um Wasserstoff-Technologien für den Markthochlauf zum Laufen zu bringen, um Skaleneffekte zu erreichen und nicht zuletzt um die Anwendungssektoren zu versorgen, kann es sinnvoll sein, auch auf blauen oder türkisen Wasserstoff zu setzen, der nicht komplett klimaneutral ist. Wichtig ist allerdings, dass dessen Klimabilanz tatsächlich besser ist als die des grauen Wasserstoffs. Dazu müssen wir klären, welche Umwelteinwirkung wir haben, wenn wir zum Beispiel blauen Wasserstoff einsetzen, der aus Erdgas unter der Abscheidung von CO2 erzeugt wird. Das CO2 muss ja irgendwohin transportiert werden, es muss gespeichert werden – aber hier muss man natürlich auch soziale, gesellschaftliche Faktoren wie die Akzeptanz bedenken. Es sollte keine „Wasserstoff-Farbe“ von vornherein ausgenommen werden. Wichtig ist allerdings dabei, dass man die richtigen politischen Signale setzt, damit auf längere Sicht nur klimaneutraler Wasserstoff im System ist.

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